Unter den sogenannten „Hartz- IV-Sanktionen“ versteht man die Maßnahmen der Agentur für Arbeit, die diese bei Pflichtverstößen der Leistungsempfänger ergreifen. Geregelt sind sowohl die „Pflichtverletzungen“ als auch die sich daraus ergebenden Konsequenzen und Rechtsfolgen im Sozialgesetzbuch II (SGB II), dort in den §§ 31 ff. SGB II
Welche „Vergehen“ können Hartz-IV-Empfänger begehen? Was wären mögliche Sanktionen?
Der Leistungsempfänger hat nach den Regelungen im SGB II verschiedentliche Mitwirkungspflichten. Kommt er diesen nicht nach, liegt eine (zu sanktionierende) Pflichtverletzung vor. Dies können
- konkrete Melde- und/oder Terminversäumnisse,
- Ablehnung von Jobangeboten bzw. die Weigerung zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Arbeitsgelegenheit aufzunehmen,
- Nichtantritt von Eingliederungsmaßnahmen
etc. sein.
Stellt die Arbeitsagentur einen Pflichtenverstoß fest, reichen die Sanktionen von Minderung des Arbeitslosengeldes II bis aus zur völligen Streichung der Regelleistung im Fall wiederholter schwerer Pflichtverstöße oder sogar der Kürzung des Mietzuschusses
Kann der Leistungsempfänger allerdings nachweisen, dass es für seine Pflichtverletzung einen wichtigen Grund gab, gibt es auch keine Sanktionen.
Gibt es bezgl. der Sanktionen Unterschiede je nach Alter der Empfänger?
Ja, in der Tat unterscheidet das Gesetz hinsichtlich der zu erwartenden Sanktionen. Für erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, also für Jugendliche und junge Erwachsene, gelten stärkere Sanktionen. So ist in diesen Fällen bereits beim ersten Verstoß, der über ein Meldeversäumnis hinausgeht, eine hundertprozentige Streichung der Regelleistung vorgesehen.
Die Kritik an Praxis des Sanktionssystems ist groß. Warum?
Hier wird in erster Linie die Verhältnismäßigkeit diskutiert und die sehr harten Sanktionen. Zum Teil werden Vergleiche mit anderen Sanktionen im deutschen Rechtssystem angestellt, wie zum Beispiel den Bußgeldregelungen im Straßenverkehr. Bei Betrachtung der Intensität der Verfehlung und dem Ausmaß der möglichen Sanktionen seien die Regelungen im SGB II zum Teil doch sehr drastisch.
Kann man sagen, dass durch die Sanktionen verhindert wird, dass Menschen Hartz-IV beziehen, die eigentlich gar nicht dazu berechtigt wären?
Nein, diesen Rückschluss kann man nicht ziehen. Tatsächlich haben auch die meisten der mit Sanktionen belegten Leistungsempfänger an sich einen regulären Anspruch auf die Leistungen. Sie haben nur schlicht ihre Mitwirkungspflichten nicht ernst genommen oder nicht oder zu spät den Kontakt zu ihrem Sachbearbeiter gesucht.
Es gibt durchaus auch Sozialforscher, die sich mit dieser Thematik befassen, die sagen „Gerade diejenigen, die es allein auf die Leistungen „abgesehen“ haben, wissen genau, was sie tun müssen, um im Jobcenter nicht aufzufallen und keine Sanktionen zu bekommen.“
Ist jeder Regelverstoß deutschlandweit gleich geahndet?
Nein, das ist leider nicht der Fall. Untersuchungen der Hochschule Koblenz zum Beispiel haben ergeben, dass durchaus zu erheblichen Unterschieden in der Handhabung durch die Jobcenter kommt. Das ist auch nicht zwingend regional unterscheidbar, sondern vielmehr mitunter abhängig vom jeweiligen Sachbearbeiter. Es gibt Jobcenter, die ein sehr dichtes, engmaschiges Kontrollsystem und harte Sanktionierungen haben, andere hingegen sind nachsichtiger und gehen dementsprechend auch zurückhaltender mit Sanktionen um. Das Gesetz ermöglicht insoweit auch einen gewissen Handlungsspielraum für die Sachbearbeiter, insbesondere bei der Frage, was als „wichtiger Grund“ im Rahmen der Pflichtverletzungen anerkannt wird oder nicht.
Auf wie sicheren Füßen stehen die Sanktionen juristisch eigentlich?
Gerade der „Strafenkatalog“ steht immer wieder erheblich in der Kritik und wird äußerst kritisch gesehen. So hat das Bundesverfassungsgericht bereits 2010 die Hartz-IV-Zahlungen als „Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums“ bezeichnet, dass dem Grunde nach unverfügbar sein soll. Ob dies aber dann mit den als Sanktionen vorgesehenen Kürzungen des Regelsatzes oder gar der vollständigen Streichung in Einklang zu bringen ist, ist durchaus fraglich. Auch politisch stehen diese Regelungen regelmäßig wieder in der Kritik.
Jobcenter verhängten 25.800 weniger Sanktionen als im Vorjahr. Klingt positiv, oder?
Das mag auf den ersten Blick und bei Betrachtung der reinen Zahlen so wirken, ja. Allerdings muss man auch hier die Zahlen ins richtig Verhältnis setzen. Bei Betrachtung der Gesamtzahl der Hartz-IV-Empfänger im Vergleich zum Vorjahr relativiert sich das Ganze schon wieder. Durch die tatsächlich gute Lage am Arbeitsmarkt und die damit insgesamt gesunkene Zahl der Leistungsempfänger bleibt der Anteil derjenigen Leistungsempfänger, die Melde- und Nachweispflichten nicht erfüllt haben und damit sanktioniert wurden unverändert bei ca. 3,1 Prozent.
Was ist ihrer Meinung nach die Zukunft des Prinzips der Sanktionen?
Der Vorlagebeschluss des SG Gotha ist interessant, ebenso die immer wieder aufkeimenden Diskussionen über ein bedingungsloses Grundeinkommen. Es ist und bleibt ein Politikum, wie mit Pflichtverstößen umzugehen ist, da reichen die Meinungen von „Abschaffung der Sanktionen für jüngere Leistungsempfänger insgesamt“ wie es Frau Nahles jüngst forderte über die Idee „gute und individuelle Maßnahmen anzubieten“ bis hin zum Festhalten am Sanktionierungssystem und der Aussage ohne Sanktionen blieben die Mitwirkungspflichten „nur auf dem Papier“ also quasi ein zahnloser Tiger.