Krankenschwestern, Polizisten und Feuerwehrleute mussten immer schon am Sonntag arbeiten. Doch wie ist es mit anderen Berufsgruppen, beispielsweise Callcenter-Mitarbeiter, Bierbrauer oder Verkäufern im Einzelhandel? Das Verbot der Sonntagsarbeit wurde in den letzten Jahren immer mehr zurückgedrängt.
1) Was hat das BVerwG entschieden?Das BVerwG musste die Wirksamkeit der hessischen Bedarfsgewerbeordnung überprüfen. Geklagt hatte die Gewerkschaft ver.di und zwei südhessische Dekanate der Ev. Kirche. Es sollte überprüft werden, ob die hessische Landesregierung durch eine Verordnung Ausnahmen von dem Verbot der Sonntagsarbeit wirksam erlassen konnte. Konkret ging es u.a. um die Erlaubnis der Beschäftigung von Mitarbeitern in Callcentern, bspw. für den Versandhandel oder Online-Banking. Nach der Verordnung durften diese jeden Sonntag bis zu acht Stunden arbeiten.
Verordnung über die Zulassung der Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen
(Bedarfsgewerbeverordnung – BedGewV) vom 12. Oktober 2011
Das BVerwG hat in seiner gestrigen
Entscheidung wesentliche Bestimmungen dieser Verordnung für unwirksam erklärt.
2) Es geht ja um die Ausnahmeregelungen von Sonntagsarbeit in Hessen. Ist das Urteil nun auch bundesweit relevant?Zunächst betrifft die Entscheidung nur die hessische Bedarfsgewerbeverordnung. Soweit andere Bundesländer identische Regelungen in ihren Verordnungen haben, so lassen sich die Grundsätze der Entscheidung sehr gut übertragen. Damit werden sie von den Behörden und den Ländern beachtet werden müssen. Eigentlich dürfen dann die Behörden die Regelungen nicht mehr anwenden.
Es dürfte dann damit zu rechnen sein, dass diese Regelungen neu überdacht und aufgestellt werden müssen.
Nach der Entscheidung des BVerwG wird der Bundesgesetzgeber das ArbzG ändern müssen, bevor die Länder zukünftig auf dieser Grundlage Ausnahmen von der Sonntagsarbeit aufstellen dürfen. Denn eine der wesentlichen Grundlagen der Entscheidung war, dass der Bundesgesetzgeber (die Legislative) – verantwortlich für das ArbZG – einer Behörde (die Executive) – verantwortlich für die VO – derart wesentliche Eingriffe in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen nicht überlassen darf. Das widerspricht dem Grundsatz der Gewaltenteilung.
3) Das Urteil betrifft nicht die, die so oder so Sonntagsarbeit leisten müssen. Was sind denn die Ausnahmen?Ja das stimmt. Die erlaubte Sonntagsarbeit ist in § 10 des Arbeitszeitgesetzes geregelt. Dort ist Sonn- und Feiertagsarbeit für die Arbeiten erlaubt, die nicht an Werktagen vorgenommen werden können, beispielsweise: Not- und Rettungsdienste, Krankenhäuser und ähnliche Einrichtungen, Gaststätten und ähnliche Einrichtungen, Musik-, Film- und Tanzaufführungen, Sport- und Freizeitveranstaltungen und einiges mehr.
Alle anderen Branchen, die dort nicht aufgezählt sind, müssen einen Antrag stellen und eine Genehmigung erhalten, wenn sie an einem Sonntag arbeiten wollen.
4) Warum musste das bestehende Gesetz überhaupt neu geregelt werden?In Hessen wollte man weitere Branchen von der Antragspflicht nach dem ArbzG ausnehmen, um möglichen Wettbewerbsnachteilen gegenüber anderen Bundesländer zu begegnen.
Beispielsweise:
1. Videotheken und öffentliche Bibliotheken,
2. das Bestattungsgewerbe,
3. Garagen und Parkhäuser,
4. Brauereien, Betriebe zur Herstellung von alkoholfreien Getränken und Schaumwein, sowie
Betriebe des Großhandels, die diese Erzeugnisse vertreiben,
5. Fabriken zur Herstellung von Roh- und Speiseeis und Betrieben des Großhandels (von April bis Oktober),
6. das Immobiliengewerbe (bis zu 6 Stunden),
7. Musterhausausstellungen (bis zu 6 Stunden),
8. das Buchmachergewerbe (bis zu 6 Stunden),
9. Dienstleistungsunternehmen und Versandhandel
10. der telefonische und elektronische Lotsendienst und
11. Lotto- und Totogesellschaften (bis zu 8 Stunden)
5) Es geht zum einen um das Recht, einen freien Sonntag zu haben – auf der anderen Seite wird auch viel Geld verdient sonntags.Ja das stimmt.
In unserer demokratischen Grundordnung wird es immer einen Widerstreit zwischen der Freiheit des Einzelnen, den wirtschaftlichen Interessen und dem Schutz des Einzelnen geben. Diesen Widerstreit müssen die Parlamente, der Gesetzgeber, auflösen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 1. Dezember 2009 verkündet, Sonn- und Feiertage seien als Tage der Arbeitsruhe aus religiösen Gründen, aber auch zur persönlichen Erholung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihrer Teilhabe am sozialen Leben geschützt.
Dieses Recht auf einen freien Sonntag hat also Verfassungsrang. Und es bedarf einer sorgfältigen Begründung und Abwägung, um hiervon Ausnahmen zu erlauben. Alleine der Grund, Geld verdienen zu können, reicht hier nicht.
6) Das heißt, hätte die Klage Erfolg gehabt, würden viele Arbeitnehmer jetzt sonntags kein Geld mehr verdienen können, richtig?Ja, das stimmt. Da das BVerwG der Klage stattgegeben hat, können die dort benannten Branchen sonntags nicht mehr arbeiten und auch keine Mitarbeiter beschäftigen.
7) Das kann doch nicht im Interesse von ver.di sein?Die Gewerkschaften hat sich sehr früh für einen arbeitsfreien Sonntag eingesetzt. Dieser freie Tag hat Vorrang vor der Möglichkeit, dort Geld zu verdienen.
8) Was bedeutet das jetzt für Bäcker, die Gaststätten und Videothekenbetreiber?Diese Branchen müssen zukünftig Anträge bei den zuständigen Behörden stellen. In Hessen ist das der Regierungspräsident. Ob dieser dann die Sonntagsarbeit in einem vergleichbaren Umfang wie die Verordnung zulässt, erscheint äußerst fraglich.
Für die Beantragung von Sonntagsarbeit benötigt man:
• Einen schriftlichen Antrag mit Angaben zum Unternehmen
• Begründung der Sonntagsarbeit
• Informationen über Zeitpunkt, Anzahl und Einsatzort der Mitarbeiter.
Musterformulare gibt es im
Internet.
9) Verdi und die Kirchen haben gegen die Ausnahmen von Sonntagsarbeit geklagt – was könnte der Grund dafür sein, dass erst jetzt dagegen so massiv vorgegangen wird?Die Verordnung ist in der vorliegenden Fassung erst seit 02.11.2011 gültig.
Bereits im Gesetzgebungsverfahren hat sich in Hessen ein überparteilicher Widerstand gegen diese Verordnung geregt. Es gab eine „Allianz für den freien Sonntag“, die aus kirchlichen Organisationen und den DGB Gewerkschaften bestand. Es gab auch eine
kirchliche Resolution gegen die Verordnung, die aber ohne Erfolg blieb. Und nach dem Erlass wurden dann die Klagen erhoben, die jetzt beim BVerwG gelandet sind.
10) Wer regelt denn das mit der Sonntagsarbeit?Grundsätzlich regelt das der Bund. Hierzu wurde das Arbeitszeitgesetz erlassen, wonach Sonntagsarbeit grundsätzlich verboten ist. Nur in gesetzlich konkret festgelegten Branchen darf an Sonntagen gearbeitet werden. Alle anderen benötigen eine Zulassung durch die Aufsichtsbehörde.
Die Landesregierungen können nach einer Ausnahmeregelung im Arbeitszeitgesetz nur einen kleinen Bereich selbst regeln und war „für Betriebe, in denen die Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- oder Feiertagen zur Befriedigung täglicher oder an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung erforderlich ist.“ Das war hier der Fall.
11) Muss denn ein Mitarbeiter am Sonntag arbeiten, wenn der Arbeitgeber es will?Dazu muss man zuerst in den Arbeitsvertrag schauen. Wenn dort nur Werktage als Arbeitstage bestimmt sind, dann nein. Dann geht das nur freiwillig. Ist dort nichts geregelt, dann kann der Arbeitgeber nach billigem Ermessen auch Sonntagsarbeit anordnen. In Betrieben, die einen Betriebsrat haben, muss der Arbeitgeber vorher aber die Zustimmung des Betriebsrates einholen. Und es ist zu berücksichtigen, dass in Tarifverträgen oft auch hierzu Regelungen aufgestellt sind.
Der Anordnung muss der Mitarbeiter aber nur dann Folge leisten, wenn die Sonntagarbeit auch nach dem ArbZG zulässig ist. Unzulässig Arbeit an Sonntagen muss nicht geleistet werden.
12) Dürfen denn Bäckereien und Kioske am Sonntag arbeiten?Wenn sie dort Mitarbeiter beschäftigen, dann müssen sie die Regeln beachten. Bäckereien dürfen nicht am Sonntag arbeiten. Sie dürfen nur für bis zu drei Stunden mit der Herstellung dem Austragen oder Ausfahren beschäftigt werden.
Davon zu unterscheiden sind die Ladenöffnungszeiten. Diese sind im Ladenöffnungsgesetz auf Länderebene geregelt (Gesetz zur Regelung der Ladenöffnungszeiten, Ladenöffnungsgesetz – LÖG NRW). Dort ist beispielsweise geregelt, wie lange ein Laden geöffnet werden dann oder wie viele verkaufsoffene Samstage pro Gemeinde möglich sind. Das hat aber nichts mit dem Arbeitszeitgesetz zu tun.
Wenn also die Familie arbeitet und sie nicht als Mitarbeiter unter das ArbZG fallen, dann müssen sie dennoch das Ladenöffnungsgesetz beachten. Daher dürfen sie ihren Laden nicht beliebig aufmachen.